Peppinos Meistergeige

                                      von Monika Zenker

Peppino war ein alter Geigenbauer in den Bergen. Er lebte in einer Hütte und saß oft in seiner Werkstatt, wo er bis tief in die Nacht seine Schätze fertigte. Wenn die Holzbearbeitung beendet war, zog er Saiten auf, um Töne erzeugen zu können, die mit ihren Schwingungen anklingen ließen, in welcher Stimmung das Instrument war. Auch einer Geige machten die Jahreszeiten zu schaffen. Wenn es ihr zu kalt oder zu warm wurde, mochte sie nicht, dass man sie mit dem Bogen berührte. Dann hörte sie sich an, als habe sie eine Erkältung bekommen. Aber auch das konnte Peppino beheben, indem er sie mit Hilfe einer Stimmgabel erneut zum Klingen brachte. Die Geigen, die Peppino verkaufte, waren ganz normale Instrumente, darauf abgestimmt Töne von sich zu geben, mit denen man Lieder spielte. Aber es klang nie so, als besäßen sie eine Seele. Ein Traum seiner Kindheit war, eine Geige herzustellen, die einen so schönen Klang hätte, dass jeder sofort hören würde, welch einzigartiges Instrument ihm da gelungen war: eine Meistergeige.

Schon vor Jahren hatte er Material eingekauft, um im passenden Moment welches für ein solches Meisterstück vorrätig zu haben. Nicht irgendwelches, sondern Sorten, die über viele hundert Jahre gelagert worden waren, da nur ein ausgereiftes Holz dafür in Frage kam. Auf der Suche stach ihm ein edles Stück in einem Stapel ins Auge. Es hatte einen leuchtenden Schein um sich herum, als würde Magie es erhellen. Er wusste sofort, dass dieses genau zu seinem Meisterwerk passen würde und nahm es mit nach Hause. Daraus wollte er irgendwann diese ganz besondere Geige bauen.

 

Peppino hatte eine Enkeltochter namens Leonie. Sie spielte schon, seit sie eine Geige und einen Bogen in ihren kleinen Händchen halten konnte. Im Dorf gab es einen Lehrer, der ihr beibrachte, Noten zu lesen. Eine ganz besondere Sprache, die nicht nur damit zu tun hatte, dass man die Noten von einem Papier ablas, sondern auch damit, das eigene Gefühl in das Stück einzubringen.

Der Musiklehrer war sehr zufrieden mit Leonie und sprach davon, dass sie musikalisches Verständnis habe und mit viel Übung und dem richtigen Instrument eine ganz große Geigenspielerin werden könne.

Das hörte auch der Großvater und er wollte derjenige sein, der ihr die schönste Geige schenken würde.

Als er nun in seiner Kammer nach dem passenden Holz suchte, kam ihm ein Licht entgegen: ein Stück leuchtete. Seine Aura strahlte und stach aus dem Stapel hervor, als wüsste es, dass jetzt der Moment gekommen war, um sich bemerkbar zu machen. Peppino strich über das Holz und erinnerte sich sofort wieder an den Kauf.

Wochen vergingen, in denen er kaum aus seiner Werkstatt kam, und als die Geige den letzten Schliff bekommen hatte, da wäre er fast verzweifelt. Das Leuchten war erloschen und die Geige ließ sich nicht stimmen. Sie war so schön, gab aber nur schiefe Töne von sich, so dass man niemals ein richtiges Lied auf ihr hätte spielen können. Es war, als würde die Geige sich mit aller Macht dagegen sträuben und die Töne selbst wieder verändern.

Peppino wollte schon aufgeben und sie als misslungen in den Kübel mit den Abfällen werfen, als ihn Leonie eines Nachmittags besuchte.

»Großvater, die ist aber schön!«, stand sie mit groß aufgerissenen Augen vor der Geige, die er beiseitegelegt hatte.

»Nein, Leonie, die kann man nicht spielen.«

»Aber sie leuchtet so toll.«

Da rieb Peppino sich die Augen, denn er sah das Leuchten des Holzes nicht mehr.

»Du kannst sie leuchten sehen?«

»Ja, wunderschön, als wäre sie von Sonnenstrahlen umgeben.«

Der Großvater gab ihr die Geige und Leonie stimmte sie und begann danach, ein Lied zu spielen. Dabei traten dem Großvater vor Freude die Tränen in die Augen, denn er wusste sofort: Das war seine Meistergeige.

Es dauerte nicht lange, da war es in aller Munde. In der Umgebung erzählte man sich von dem Mädchen, das Peppinos Geige spielte und dieses Instrument wie keine andere beherrschte. Viele wollten sich selbst davon überzeugen und kamen, um sie zu hören. Gerührt gingen die Menschen anschließend nach Hause und erzählten begeistert, dass sie noch nie ein Stück gehört hätten, das sie so tief im Herzen erreicht habe.

Als aber eines Tages die Geige verschwand, da man sie Leonie stahl, war es auch mit dem Erfolg vorbei. Leonie konnte sich noch so anstrengen und ihr Bestes geben, es reichte nicht mehr, um die Leute zu begeistern. Sie kamen nicht mehr in Scharen, um sie zu hören, da sie nun wie jeder andere Musiker spielte. Auch dem Großvater tat es sehr leid, so dass er versuchte, eine neue Geige für sie zu bauen. Aber all den Geigen, die er baute, fehlte etwas Besonderes: die Seele.

 

Es vergingen viele Jahre. Leonie unterrichtete Kinder und brachte ihnen bei, wie man die Noten eines Liedes las. Ihren eigenen Kindern zeigte sie, wie man diese auf ein Instrument übertrug und die Töne erklingen ließ. Sie erzählte ihnen auch die Geschichte vom Großvater und seiner Meistergeige und dass sie niemals wieder ein so schönes Instrument gespielt habe.

Linus, Leonies Sohn, konnte es erst gar nicht glauben, als er eines Tages vor dem Trödelladen stand und eine Geige im Schaufenster leuchten sah. Das musste sie sein: Mamas Meistergeige. Er spürte ein sehr großes Verlangen, diese Geige zu spielen, genau wie schon Jahre zuvor seine Mutter.

Sofort lief er nach Hause und erzählte es ihr. Sie war so überrascht, dass ihr Herz vor Freude zu klopfen begann, denn es wäre ein Wunder, würde die Geige nach so langer Zeit wieder den Weg in ihre Familie finden.

So ging sie mit Linus zu dem Trödelladen und schaute sich das Instrument an. Es sah aus wie ihre Geige und der Großvater hatte sie auch angefertigt, was man an den Initialen, die auf der Bodenplatte eingraviert waren, erkennen konnte. Aber sie leuchtete nicht.

»Linus, das ist sie nicht!«

»Doch Mama, ich sehe sie doch leuchten. Sie ist so schön.«

Leonie glaubte zwar nicht, dass ihr Sohn dieses Leuchten, das sie als Kind gesehen hatte, auch sehen würde, aber da der Preis sehr gering war, kaufte sie ihrem Sohn die Geige.

Zu Hause versuchte sie, das Instrument zu stimmen. Aber immer, wenn sie glaubte, die richtigen Töne gefunden zu haben, hörte sich die Geige an, als habe sie eine Erkältung.

Sie gab auf und versuchte ihrem Sohn zu erklären, dass er mit dieser Geige wohl niemals spielen könne.

Aber Linus wollte das nicht glauben, denn das Strahlen der Geige war so schön und sie zog ihn komplett in ihren Bann. Er nahm sie, stimmte sie und fing an zu spielen.

Leonie hatte Tränen in den Augen, als sie der Melodie lauschte, genau wie vor Jahren ihr Großvater. Sie verstand jetzt, dass ihre Zeit mit der Geige vorüber war und nun ihr Sohn das Andenken an den Großvater fortführen durfte.

 

Auch Linus verzauberte die Menschen, und so wurde die Geige von Generation zu Generation weitergegeben, und nur, wer als Kind mit dem ganzen Herzen bei der Musik war, der wurde dazu auserwählt, in diesem Instrument die Seele erklingen zu lassen.

Veröffentlichung 2016-2018 im Buch: Joshuas Märchenreich

Der Erlös des Buches kam dem Kinder- und Jugendhospiz "Joshuas Engelreich" in Wilhelmshaven zugute.

Lektorat: Lektorix und MASOU Verlag


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