Im Gewand der festlichen Zeit

von Monika Zenker

 

Die Frau, die er schon seit Jahren kannte, zog die Schultern hoch und sagte: “Es tut mir leid, aber in diesem Jahr habe ich keine Stelle als Weihnachtsmann für sie frei.“

Er zog die Stirn kraus und schaute sie fragend an.

„Es haben sich viele Jüngere auf die Ausschreibung gemeldet und in ihrem Alter können Sie sich doch eine schöne Adventszeit mit Ihrer Familie machen.“

Mit gesenktem Kopf drehte er sich zum Gehen und dachte darüber nach, dass vorbei sein sollte, worauf er sich das ganze Jahr freute. Er wollte doch die Kinder in Kaufhäusern und auf Weihnachtsmärkten glücklich machen.

Als er das Gebäude verließ, fühlte er sich, als habe er einen schweren Stein auf der Brust und Tränen füllten seine Augen, da er daran dachte, wie einsam das Fest für ihn werden würde. Keiner wusste, dass er in dieser Zeit nicht nur die vielen Kinder glücklich machte und den Eltern einen besonderen Moment bescherte, sondern dass er selbst es war, der dank der strahlenden Kinderaugen, in die er den ganzen Tag blickte, viel Glück mit zu sich nach Hause nahm.

Er ging die Straße entlang und auch die leuchtenden Lichterketten, die diese zierten, konnten ihm keinen Trost spenden und ihn nicht von dem Gedanken ablenken, etwas Kostbares verloren zu haben. Die dekorierten Schaufenster ließen ihn verharren, denn er wollte gern als Weihnachtsmann dort sitzen und den Vorbeigehenden zuwinken. Oder einem Kind, das auf seinem Schoß saß, eine Geschichte erzählen. Er hörte den Kindern gern zu, wenn sie voller Freude von ihren Wünschen sprachen. Auch die Eltern lauschten, was ihre Kleinen sich wünschten, damit die Enttäuschung am Weihnachtsabend ausblieb.

Als er die Kirchturmuhr schlagen hörte, hatte er eine Idee und man sah in seinem Gesicht ein Schmunzeln.

Mich als Weihnachtsmann absetzen, das könnte euch so passen, dachte er. Das, was mein Leben noch lebenswert macht, einfach unter den Tisch fallen zu lassen. Das werde ich nicht zulassen.

Er hatte etwas von seiner Rente gespart, die zwar knapp bemessen war, aber es würde irgendwann reichen, um einmal seine Familie zu besuchen. Sie waren fern von ihm, denn das Land hinter dem großen Ozean, wo seine Tochter mit ihrem Mann und ihrem Sohn lebte, war nicht so leicht zu erreichen. Er wusste, dass der Sparstrumpf auch in diesem Jahr nicht genug für einen Besuch hergeben würde, aber einen anderen Traum konnte er sich davon erfüllen. Denn so einsam er war, nachdem seine liebe Frau verstorben war, so viel Freude machte es ihm, den Weihnachtsmann zu spielen. Es reichte für ein weiteres Jahr Wärme in seinem Herzen, um die Tage ohne Trubel zu ertragen.

Er nahm sein ganzes Erspartes, kaufte sich eine Weihnachtsmannkutte, einen Bart und eine Mütze. Als er seine schwarzen Stiefel dazu angezogen hatte und sich im Spiegel betrachtete, merkte er, wie es warm in seiner Brust wurde, und ein Lächeln strich über sein Gesicht. Päckchen mit allerlei Süßigkeiten und kleinen Spielzeugen hatte er gekauft und in einen Sack gepackt, nahm ihn und seinen Lehnstuhl vom Speicher und zog damit los.

Auf dem Weihnachtsmarkt grüßte er seinen Kollegen und dieser schaute ihn überrascht an, gab den Gruß aber zurück. Jeder Weihnachtsmann hatte seinen Platz, damit die Kinder nicht durcheinander kamen, wenn sie plötzlich mehr als einen sahen. Noch dazu musste er mit dem Lehnstuhl, den er trug, etwas komisch aussehen.

Auch am Kirchplatz war noch ein ganz kleiner Markt, der keinen Weihnachtsmann hatte, das wusste er, deshalb richtete er den Blick auf die dort bunt geschmückte Tanne. Als er sie erreicht hatte, nahm er den Lehnstuhl, platzierte ihn genau davor und setzte sich darauf. Dann wartete er und es dauerte nicht lange, da stand das erste Kind erwartungsvoll vor ihm. Ein kleines Mädchen, welches ihm schüchtern verriet, dass es Anna hieß. Ihre Augen flackerten ein wenig, aber mit seiner tiefen, beruhigenden Stimme nahm er ihr die Angst und sie kletterte auf seinen Schoß, um dem Weihnachtsmann ihre Wünsche ins Ohr zu flüstern. So saß er bis in den Abend und machte viele Kinder glücklich. Sein Sack war fast geleert und die kleinen Geschenke hatten ihre Besitzer gefunden.

Am letzten Tag der Vorweihnachtszeit setzte er sich wieder an diesen Platz und schaute auf die  kleinen Buden mit der mittelalterlichen Handwerkskunst. Die Luft war erfüllt vom Duft des Glühweins. Von den Klängen des Posaunenchors und den geschmückten Lichterketten, wurde er eingefangen von einem stimmungsvollen Zauber.

Viele waren noch unterwegs, um die letzten Geschenke zu kaufen, und kamen bei ihm vorbei, um ihren Kindern zu zeigen, dass der Weihnachtsmann auch an diesem Tag noch viel zu tun hatte und die Bescherung bei ihnen erst später stattfände.

Da trat ein kleiner Junge schüchtern auf ihn zu, der sich in Schal und Mütze beinahe zu verstecken schien, nur seine kleine Nase und große Augen waren zu sehen. Auch er hatte den Weihnachtsmann, der nun die Arme ausstreckte und ihn zu sich auf den Schoß holte, bisher anscheinend nur aus Erzählungen gekannt.

»Na, kleiner Mann, was hast du denn für Wünsche?«

»Nur einen.«

»Da schauen wir doch einmal, ob wir ihn erfüllen können. Erzähl mir von deinem Wunsch«, ermutigte er ihn und legte dabei die große Hand auf seine Schulter.

Der Junge schaute ihn an und antwortete: „Ich bin mit meinen Eltern nach Deutschland gekommen, um meinen Opa zu besuchen. Wir waren schon an seiner Haustür, aber er öffnet nicht. Dabei würde ich ihn so gern in den Arm nehmen.“

Da blickte der Weihnachtsmann auf und sah in zwei Gesichter, die ihm vertrauter nicht hätten sein können. Und das Strahlen seiner Augen war leuchtender als das der Kinder, die er in den letzten Tagen glücklich gemacht hatte.

Die Geschichte wurde im Buch "Die Magie der Weihnachtsmärkte" im Wendepunkt-Verlag veröffentlicht.

Lektorat: Tanja Mehlhase (Lektorix)

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